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Auf John Steinbecks Spuren auf der Cannery Row in Monterey, CA

Die Cannery Row in Monterey wäre heute bestenfalls eine Angelegenheit für lokale Historiker, wenn sie nicht vielleicht längst dem Erdboden gleich gemacht worden wäre. Und Monterey selbst wohl nur eine weitere nette Kleinstadt an der kalifornischen Pazifikküste, die aber unter verschwenderisch vielen Attraktionen nicht weiter auffallen würde. Es war John Steinbeck, der mit seinem gleichnamigen Roman dem Ort und seinen Bewohnern ein literarisches Denkmal setzte und ihn damit unsterblich machte. Eine Spurensuche auf der Straße der Ölsardinen.

Die "Cannery Row" in Monterey heute (Foto: Christian Düringer

Ohne John Steinbecks (1902 - 1968) gleichnamigen Erfolgsroman von 1945 würde es diesen Teil von Monterey wohl längst nicht mehr geben. Eigentlich hat Steinbeck diesen Ort überhaupt erst erschaffen, denn die Cannery Row trägt diesen einstigen von ihm etablierten Spitznamen erst seit 1958 offiziell. Um den Tourismus anzukurbeln. Die große Ära der Fischkonserven war da nämlich bereits längst Geschichte. Vorher nannte sie sich Ocean View Avenue. Ein wahrlich romantisch- verklärender Name für diese 1000 Meter Industriestraße. Der Ozean ist zwischen den unansehnlichen Anlagen hindurch bestenfalls hin und wieder zu erahnen.

"Cannery Row in Monterey in California is a poem, a stink, a grating noise, a quality of light, a tone, a habit, a nostalgia, a dream. Cannery Row is the gathered and scattered, tin and iron and rust and splintered wood, chipped pavement and weedy lots and junk heaps, sardine canneries of currugated iron, honky tonks, restaurants and whore houses, and little crowded groceries, and laboratories and flophouses."

Gleich mit den beiden einleitenden Sätzen katapultiert Steinbeck seine Leser unvermittelt und unverblümt an Ort und Stelle und konfrontiert sie sogleich kaum subtiler mit deren Bewohnern: Huren, Zuhälter, Spieler und Hurensöhne kreuzen auf der "Straße der Ölsardinen", so der deutsche Titel, die Wege von Fabrikarbeitern, intellektuellen Träumern, Taugenichtsen und Aussteigern. Für Steinbeck aber kein Gesindel sondern Sünder und Heilige gleichermaßen. Kommt eben ganz auf den Standpunkt an.


John Steinbeck ist nach wie vor omnipräsent auf der Cannery Row (Foto: Christian Düringer)

Episodenhaft skizziert Steinbeck liebevoll, mit großem Respekt, Humor und voller Optimismus den eigentlich so harten Alltag seiner Antihelden auf der Cannery Row der 1930er Jahre. Die Wirtschaftskrise, die auch den Geschäften hier in dieser Zeit nach drei Jahrzehnten Aufschwung schwer zusetzte, kann man zwischen den Zeilen nur erahnen. Dabei war es Steinbeck, der mit "The Grapes of Wrath" 1939 das literarische Vorzeigewerk zur Großen Depression vorgelegt hatte. Wenig verwunderlich also, dass ihm Kritiker immer wieder vorwarfen, in "Cannery Row" Armut romantisiert zu haben.

Dabei liegt der Reiz des Buches gerade darin, dass Steinbeck aus seinen Vagabunden großherzige Helden macht und das nicht durch Sozialkritik relativiert. Da ist etwa die geschäftstüchtige Dora Flood, die das Bordell "Bear Flag" führt, der Chinese Lee Chong, dessen Kramladen Treffpunkt und Lebensader zugleich ist und der Herumtreiber Mack und seine Kumpels, die auf Pump in Chongs altem Schuppen hausen und in den Tag hinein leben. Und da ist Doc. Der kauzige Meeresbiologe betreibt das das Laboratorium "Western Biological" und ist die gute Seele der Cannnery Row.


"Vagabunden wurden bei Steinbeck zu Helden. Inzwischen sind aus Sardinen- jedoch Touristenschwärme geworden"

Doc ist nicht nur die zentrale Figur des Romans, er ist auch der direkte Querverweis in die Realität. Steinbeck setzte seinem Freund Ed Ricketts (1897 - 1948) hier ein Denkmal. Ricketts eröffnete 1923 die Pacific Biological Laboratories (Hausnummer 800). Der einstöckige Flachdachbau existiert noch immer und schmiegt sich heute als unscheinbarer Holzverschlag an das gigantische Monterey Bay Aquarium, einem der größten Schauaquarien weltweit, das in den 1980er und 90er Jahren für insgesamt mehr als 100 Millionen Dollar in einen der leer stehenden Fabrikkomplexe am westlichen Ende der Cannery Row einquartiert wurde und die Straße endgültig zum Touristen-Hotspot der Region machte.

Das von Ed Ricketts 1923 eröffnete Pacific Biological Laboratories wird im Buch als Docs Unterkunft bekannt. Heute schmiegt sich der einstöckige Flachdachbau als unscheinbarer Holzverschlag an das gigantische Monterey Bay Aquarium. (Foto: Mark Miller)

Ricketts Labor steht verwaist und etwas deplatziert im quirligen Treiben und nur ein kleines Schild gibt Hinweis auf seine einstige Bedeutung. Dennoch verströmt der Bau für eingeweihte Steinbeck-Kenner und Literatur-Touristen genau jenes Flair der Vergangenheit, das sie sich erhofft haben, entsteht doch der Eindruck, Ricketts hätte ihn gerade gestern erst selbst verrammelt. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.


Die luft stinkt nicht mehr beissend nach Fisch, sondern nach Kaffeearomen von Starbucks

Für die übrige Cannery Row gilt das hingegen nur noch bedingt. Auch die anderen ehemaligen Fabrikgebäude sind inzwischen Fassaden für Hotels oder Malls. Hurenhäuser, Chinesenhütten und Honky Tonks sind familienfreundlichen Restaurants, Souvenirläden und Boutiquen gewichen. Aus Fabrikarbeitern sind findige Tourismusunternehmer geworden, die Boote legen hier nicht mehr an um Sardinen abzuladen, sondern um Touristen zum "Whale Watching" aufzuladen und die Luft stinkt nicht mehr beißend nach Fisch, sondern nach Kaffeearomen von Starbucks.

Steinbecks Roman hätte für Monterey zu keinem besseren Zeitpunkt erscheinen können. Als er ihn Anfang der 1940er Jahre schrieb, erlebte die Cannery Row gerade ihren letzten großen Aufschwung. Nach der Wirtschaftskrise stieg der Bedarf an Konservennahrung mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg noch einmal sprunghaft an. Doch der jahrzehntelange Raubbau an der Natur und die immer gnadenlosere Industrialisierung des Fischfangs vor der Küste Montereys endete nur wenige Jahre später jäh, als die Netze leer blieben. Die Fischbestände erholten sich nicht mehr und die Cannery Row war dem Untergang geweiht, als eine Fabrik nach den anderen die Tore schließen musste.

Das Buch wurde bereits kurz nach seinem Erscheinen 1945 ein Welterfolg und es dauerte nicht lange, bis neugierige Leser Geld und neues Leben in den verödete Stadtteil brachten. Spätestens als Steinbeck 1962 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, lockte die Cannery Row auch ein internationales Publikum nach Monterey. Schwer zu sagen, wann sich der Trend dann verselbstständigte. Heute boomt der Tourismus hier wie einst die Ölsardinen. Das Gros der Besucher kommt aber längst nicht mehr um nach Doc, Chong oder Mack und den Jungs Ausschau zu halten, sondern um das Aquarium zu besuchen, dass alleine knapp zwei Millionen Besucher jährlich anzieht und die Cannery Row damit zu einer der meist frequentierten Straßen der USA macht.


Blick durch die alten Sardinen-Fabriken auf die Cannery Row (Foto: Christian Düringer)

Konterfeis von Steinbeck und Ricketts flankieren nebst Buch-Zitaten zwar auf großen Bannern an Laternenpfählen die Cannery Row, aber der Zauber der Erzählung will sich im monotonen Betrieb einer x-beliebigen Vergnügungsmeile, auf der auch noch reger Autoverkehr herrscht, kaum einstellen. Erst wenn man sich abseits zwischen den Resten alter Fabrikruinen am Pebble Beach der Hinterseite der Cannery Row nähert und den Blick über die hoch aus dem Wasser heraus ragenden Wellblechbauten schweifen lässt, deckt sich nochmal für einen Augenblick die Vorstellung mit der Realität. Ansonsten sucht man Geschichte hier vergebens.

Um in Steinbecks Schaffen abzutauchen, muss man sich schon auf den Weg in seinen Geburtsort machen. Zwanzig Meilen östlich in Salinas befindet sich das National Steinbeck Center. Als Steinbeck wenige Jahre vor seinem Tod 1968 noch einmal an die Cannery Row zurück kam, kommentierte er die rasante Entwicklung bereits treffend in seiner typischen Art: "Die Strände, die einst mit Fischresten und Fliegen bedeckt waren, sind sauber. Die Sardinenfabriken, die früher ekelhaft stanken, gibt es nicht mehr. An ihrer Stelle finden sich Restaurants, Antiquitätenläden und dergleichen mehr. Sie fangen Touristen ein, nicht Sardinen, und diese Spezies ist nicht so leicht auszurotten." Das trifft auch nach 50 Jahren den Nagel auf den Kopf.





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